Butterfly

Butterfly

Diesmal sei es nicht so schlimm gewesen, hatte ihr Lieblingspfleger bald nach der Einlieferung gemeint. Sie kannte ihn sofort wieder an seinen aufgebundenen Haaren. Die Narben würden also bald weg sein. Zur Not könnte man lange Handschuhe tragen, überlegte sie. Ja, sie wird sich für den Seekadettenball bewerben. Interessierte junge Damen sollten das tun, hieß es in der Zeitung. Wenn sie nur erst hier raus wäre. Freitag darf sie nach Hause.

Der Montag wird ihr Tag. Sie stellt sich vor und gefällt. Albert heißt ihr Tanzpartner, er spricht seinen Namen französisch aus, klingt wie ein Adelstitel, freut sie sich. Telse und Albert, klick, das Foto vom Seekadettenball. Es bleibt nicht das einzige, ein paar Monate später sind sie ein Hochzeitspaar.

Bei der Trauung sitzt hinten einer mit Haarzopf, man rätselt, zu welcher Familie er gehört. Draußen vor der Kirche singen Marinesoldaten Lieder von der Liebe und vom Meer. Man fährt zum Club, speist dort unter Schiffsgemälden. Albert hockt schon eine Weile bei den Kameraden, sie hecken miteinander etwas aus, das fühlt man. Telse sitzt allein, starrt ihre Arme an. Man sieht noch Spuren, wenn man es weiß. Albert weiß nichts, hatte sich am Anfang mal beiläufig nach zwei auffälligen Striemen erkundigt, „Katzenkrallen“, sie blieb gelassen.

Härchen sträuben sich jetzt in ihrem Nacken, Telse spürt einen Brechreiz, wird käsebleich im Gesicht, muß mal raus, bloß nicht hier, welche Schande, nein, das nicht. Über dem Waschtisch im Toilettenraum übergibt sie sich. Sie paßt höllisch auf, daß das Brautkleid sauber bleibt. Sie schaut in den Spiegel, ein Schüttelfrost überfällt sie. Telse öffnet ihre Handtasche. Sie weiß, sie hat den kleinen "Butterfly" dabei, später für die allerletzte daunenzarte Rasur, wie es sein soll, hatte sie beim Einpacken gedacht, für den letzten Schliff. Sie öffnet das Etui, sie dreht wie spielerisch am Griff des Rasierers, als ob sie an die Klinge wolle. Sie will. Sie muß drehen. Die Klinge ist neu. Ihre Schärfe lacht sie an.

Die Tür springt auf. Eine Kellnerin. "Na, geht's denn?" - Telse schluckt. "Ja, danke, muß doch." Sie fängt sich, schraubt den Butterfly zusammen, benutzt die Toilette, macht sich zurecht, kühles Wasser rinnt über ihre Armpulse, sie trinkt ein paar Schluck direkt aus dem Hahn. Ist bereit.

Wieder zurück. Man stößt an. Telses Vater liest eine Rede ab, ein Sprecher der Kameraden wünscht Glück. Es kommt der erste Gang, Telse kriegt Schonkost. Wilde Scherze sind gestrichen. Die Brautleute verlassen früh die Feier. Im Hotelbett schweigen sie. Albert fragt schließlich: "Der Knalltyp mit dem Indianerzöpfchen war wohl von Deiner Seite, was?!" Marschiert dann noch einmal ab ins Badezimmer. Telse wird nicht antworten. Sie gibt sich todmüde als er zurückkommt, unter den Lidern blickt sie hellwach ins abgedunkelte Zimmer, das plötzlich in eine brüllende Leere hineingezogen wird, immer lauter und immer leerer. Gleich, gleich ist auch sie nicht mehr da.

© hertz