Mohna

Mohna

Ronaldo hasst Fußball. Das kam so: Die Bärengruppe spielte gegen die Hamster. Die Hamster waren zu acht,die Bären waren zu siebt. Ging schon nicht. Jedes Kind weiß doch: Elf müssen es sein. Noch schlimmer: Ronaldo war zwar Stürmer, aber mit ihm auch noch zwei Mädchen. Sina und Alexa. Seitdem hieß er bei den Jungs bloß noch Rona. Drei Mädchen im Sturm. Seitdem hasste Ronaldo das Fußballspielen. Und seinen Vornamen sowieso schon seit Langem.

Sein Papa durfte davon nichts wissen. Er verehrt über alles einen berühmten Fuballspieler, der Ronaldo heißt. Der lebte als Kind auf der schönen Insel Madeira. Dort waren Papa und Mama einmal im Urlaub. Das war einige Monate bevor sie Papa und Mama von Ronaldo wurden.

Ronaldo hasst das T-Shirt von dem anderen Ronaldo über dem Schränkchen mit den Sportsachen. Ronaldo hasst Fußball. Ronaldo hasst Ronaldo. Ronaldo hasst Rona. Und ein bisschen hasst er Papa und Mama. Wegen Madeira oder wie die Insel heißt.

Zum Glück ist da noch Tante Thule. Sie backt herrlichen Kuchen.Vor allem backt sie den allerherrlichsten Mohnkuchen der ganzen bewohnten Welt und auch der unbewohnten. Davon ist Ronaldo überzeugt. Tante Thule lebt eine Etage unter ihnen. Sie beschwerte sich noch so gut wie nie über Ronaldo. Weder in seiner Hops-Zeit noch in seiner Hammer-Zeit mit dem Baukasten. Auch in der Zusammenstoß-Zeit mit den beiden Zügen der Holzeisenbahn sagte sie nichts.

Manchmal sind die Eltern total beschäftigt. Sie haben keine Zeit für Kinderfragen. Dann darf Ronaldo zu Tante Thule. Alles kann man bei ihr fragen. Meistens holt sie ein Stück Mohnkuchen aus dem Kühlschrank. Anfangs wollte sie ihm immer einen Kakao kochen. Mit braunem Pulver, heißer Milch und weißem Zucker. So einen Kakao mag Ronaldo überhaupt nicht. Zu Hause nimmt seine Mama immer einen Löffel voll aus einer Dose. Heißes Wasser drüber, fertig. Tante Thule hält davon nichts. Sie einigten sich auf Saft. Apfelsaft und Mohnkuchen. Ronaldo schielt manchmal nach dem Kuchenblech. Da ist oft noch Mohnkuchen drauf, fünf, sechs Stücke, schätzt Ronaldo. Doch nie bekommt er ein zweites Stück. Die Tante will einfach nicht. "Das ist ein Erwachsenenkuchen", erklärte sie einmal, "Kinder dürfen ein einziges Stück. Sonst kriegen sie Bauchweh."

Eines Tages essen sie wieder Mohnkuchen. "Tante Thule", sagt Ronaldo "dein Mohnkuchen hat immer diese Körner." – "Das ist der Mohn", antwortet Tante Thule. "Aber ich muss abends immer so lange Zähne putzen. Die Körner gehn nicht raus." Tante Thule erklärt die Geheimnisse des Mohnkuchens. Ronald weiß jetzt: Matsch-Mohn geht auch. Mit ein paar Körnern aber schmeckt es besser. Und ein bisschen Apfel. Ronaldos Wissensdurst ist noch nicht gestillt. Wie die blauen Körnchen wirklich aussehen. Tante Thule holt eine Tüte mit Mohn aus dem Küchenschrank. Zwischen Daumen und Zeigefinger hält sie ein paar Mohnsamen. Sie streut Ronaldo etwas in die Handfläche. Das kitzelt. Ronaldo muss kichern. Wo die blauen Körnchen denn herkommen. Tante Thule sagt was von einer Blume. Samenkörner von einer Blume. So wie bei der Sonnenblume. "Aha", sagt Ronaldo. Aber er glaubt es nicht. Jeder weiss: Die Kerne der Sonnenblume sind doch viel größer! Da steigt Tante Thule auf einen Tritt mit zwei Stufen. Sie holt vom obersten Regal ein Buch herunter. Ein paar Flecken sind drauf.Tante Thule blättert. Die Seite mit der Mohnblume. Aber es sind zwei. Zwei Mohnblumen. Eine rote. Nein, sagt Tante Thule, die wächst überall in den Gärten. Die ist nur zum Angucken. Die lila Blüte. Ja, sagt Tante Thule. Unter der Blüte ist eine Kapsel gemalt. Wie eine Streudose, sagt Tante Thule. Bloß da kommt kein Salz raus. "Da kommen die Samen vom Mohn raus", blitzschnell hat Ronaldo die richtige Antwort. Tante Thule nimmt ihn in den Arm. "Du bist ein kluger Junge!", lobt sie ihn. Sofort wird Ronaldo beinahe so rot, wie der Mohn, den man nicht essen kann.

In der kommenden Nacht träumt Ronaldo wilde Mohn-Sachen. Ein Mohn-Tier kommt auf ihn zu. Es hat ein Köpfchen wie eine löchrige Kapsel. Stößt damit zu. Hat eine schlapprige Zunge. Will an ihm lecken. Aber dann ist es doch nur Ännchen, die Familienkatze. Sie mag mit Ronaldo schmusen. Er schläft wieder ein. Ein zweiter Traum kommt zu ihm: Sie sind in der Vorschulgruppe. Wörter finden heißt das Spiel. Mo-Wörter. Ronaldo ist dran. Mohnkuchen. Mohnblume. Mohnkapsel. Mohnkörner. Mohnmatsche. Mohnschnecke. Mohnkuh. Montag. Ein paar lachen. Ronaldo wacht auf. Blödmohner.

Im dritten Traum ist es Sommer. Und er geht so: Ronaldo macht sein Seepferdchen. Ronaldo steht am Beckenrand. Das bläuliche Wasser wird immer dunkler, immer blauer. Mohnkörnchenblau. Ein Schwimmbad voller Mohn. Ronaldo denkt an Tante Thules Tüte. Ronaldo denkt an Tante Thules Mohnkuchen. Viele, viele Mohnkuchen. Unzählige Mohnkuchen. Ronaldo kann schon bis zwanzig. Noch viel, viel mehr Mohnkuchen. Ronaldo springt ins Mohnmeer. Es trägt ihn. Wie ein lila Blütenblättchen schwimmt Ronaldo sein Seepferdchen im dritten Traum dieser Nacht. "Mohna! Mohna! Mohna!", feuern sie ihn vom Beckenrand an.

Am anderen Morgen sagt er seiner Mama Bescheid. Ja, er will Seepferdchen machen. Und dann in der Kita – schade, Mo-Wörter kommen nicht dran. Im Fußball bleiben die Bären bei der alten Aufstellung. Die Sturmspitze hat sich bewährt. Sina, Alexa und ... Mohna. Paßt doch, sagten schließlich die Jungs.

© Herbert Kummetz