Lieber Lämmchen

Lieber Lämmchen

Böen wuchten sich unter den Wagen. Ihn schaudert. Falls der Sturm abflaue, würde die Fähre noch rausgehen, hieß es. Durch die Windschutzscheibe stiert er lange auf die plattgrüne Deichschulter, Schafe hätte man sich jetzt dort gewünscht, am liebsten Lämmchen. Er klickt das Autoradio durch, viel kann man nicht empfangen, bei einem dänischen Sender findet er Trost, eine Wortsendung, es ist die Melodie der Sprache, die ihn einlullt, Dänisch kann er nicht. Ein Klapperstakkato läßt ihn zusammenfahren. Hört sich nach leeren Dosen an.

Franziska würde nicht mehr auf ihn warten. Vorhin hatte er vergeblich versucht anzurufen. Vielleicht hat sie das Aufladen vergessen oder einfach abgeschaltet.

Die Neonreklame am Hotel flackert auf, Strom also gibt es. Unten sieht man den Bettentrakt, später müßte er dort einziehen. Im ersten Stock liegt seine Zuflucht, die Gaststätte mit den Panoramafenstern. Man riecht grüne Heringe, angedeckt ist nicht mehr. Drei Gäste sitzen vor ihrem Kaffee, inmitten einer Wolke süßlicher Alkoholdüfte. Personal vom Schiff, die Jacken sehen so offiziell aus. Sein neues Regenzeug in signalgelb hängt einsam an der Garderobe.

Das zarte Kling-Kling im Spiegelbuffet schlägt ihm auf den Magen. Die Bedienung macht einfach weiter, scheint von hier zu sein. Guckt MTV als ob sie das ganze Wetter nichts anginge. Wenn sie am Tresen über Kopf die Biergläser ordnet, tänzeln die Schlüsselbeine im Ausschnitt ihres fischfarbenen Pullis. Sie gähnt zu den Zuckungen einer Teenie-Band.

Er braucht etwas zu essen, bestellt und fragt nach der Verbindung zur Insel. Kann sein, sagt sie, die fahren morgen früh mit dem ersten Hochwasser. Er nimmt was er sicher kennt, ein Schnitzel mit Jägersoße, Pommes sind schon alle, na, dann mit Toastbrot. Weinschorle findet er auf der Karte nicht, gut, Alsterwasser. Das stumpfe Rucken der Mikrowelle lenkt ihn ab.

Nach der Mahlzeit kommt die junge Frau wieder hinter der Theke hervor und räumt sein Geschirr ab. Noch was? Er entscheidet sich für schwarzen Tee. Mit 'nem Schuß? Tee reicht ihm. Sie drückt auf die Knöpfe der Brühmaschine und stellt den Fernseher lauter.

Vielleicht sollte er einfach zu ihr hinübergehen, die paar Schritte. Dann könnte er fragen, was sie sonst so mache. Ob sie an der Arbeit Spaß habe. Ob es nicht sehr einsam sei hier oben im Norden. Wenn er damit durch sein würde, dann möchte er von von seinem guten Willen erzählen, diese ganze Tour auf sich zu nehmen. Franziska könnte dann an dieser Stelle eingeführt werden, von der Verpflichtung ihr gegenüber sollte er dann sprechen, ihm würde da schon das Passende einfallen, und von Gefühlen, die Männer manchmal ankämen und wie schön es wäre, wenn dann jemand bei einem sein könnte. Einfach nur so - weißt Du.

Doch am Ende bittet er in spröden Sätzen um eine Übernachtung. Kurz darauf geht der fischfarbene Pulli ihm voran zu seinem Raum eine Treppe tiefer, knipst das Licht an und legt den Schlüssel in seine ausgestreckte Hand, und für den Bruchteil eines Regenprasselns auf dem Plastikvordach berühren drei sehr junge Fingerspitzen ohne Aufregung seine gefurchte Haut.


© hertz