Ehrensachen

Gequälte Reifen sägen eine feine Spur. Er faßt in sie hinein, es ist rinnendes Blut. Zwei Wagentüren fallen wummernd ins Schloß, man startet durch. In seinen Schläfen ein pochender Disko-Sound. Nichts erstaunt ihn. Er fühlt sich im Dusel, sackt dann vollends weg.

Er nimmt nicht wahr, wie ein Sprinter eilig an der Unfallstelle vorbei fährt. Das kaputte Mofa wäre ihm schon aufgefallen, sollte der Fahrer später zu sich selber sagen. Aber man könne ja nie wissen. Auch das Auto mit den sangesfrohen Gästen einer Familienfeier entgeht ihm. Es tastet sich behutsam durch die kurvenreiche Strecke. Die Sicht des Fahrers ist eingeengt, in seinem Zustand will er keinen Streß.

Als der Verletzte wieder zu sich kommt, friert er erbärmlich, will sich nicht rühren, um Schmerz zu vermeiden. In Gedanken geht er seine Gliedmaßen und Körperteile durch und schätzt deren Versehrheit und Vollständigkeit ein. Das erschöpft ihn aufs Neue.

Als er das nächste Mal aufwacht, steht ein Typ über ihm: "Ey,was machs'n hier?", weckt er den Liegenden. Der Verletzte zieht ein Augenlid hoch. Sein Blick wandert die Stiefel hinauf, zum Koppelschloß, klettert die Hosenträger hinauf bis nach oben, und dann sieht er den kahl rasierten Kopf und erinnert sich: Das ist einer von der Strand-Disko, einer von denen, die den Laden vorhin aufgemischt haben. Eine Sache der Ehre für sie. Daß sie ihre beiden Hunde anbinden mußten, hatten sie noch geschluckt. Aber "braune Bräute" wollten sie nicht auf ihren Freundinnen sitzen lassen. Der DJ hatte seine Technik zusammen gerafft, als er die Gewalt kommen sah, Bügelflaschen taumelten bald im Blindflug, kreischende Frauen, allgemeine Flucht durch den Koog, zwei Strandkörbe wurden abgefackelt.

Der Stiefelkerl bückt sich herunter, beguckt die Wunden und versichert: "Das Schwein kriegen wir, das dich übergemangelt hat!" Und nach einer Pause: "Haste was gebrochen?" Er winkt aus dem Dunkel zwei Leute heran und sie packen den Verletzten, quetschen ihn irgendwo rein oder rauf, und verschwinden mit ihm.

Als er das nächste Mal die Augen öffnet, ist es auf der Liege beim Arzt. Der hatte ihn nach nächtlichem Klingelsturm vor der Tür gefunden.


© hertz