Rote Margeriten

Rote Margeriten

Regenhaut an Regenhaut hatten sich die Frauen zusammengedrängt. Man konnte ja nie wissen. Eine stand etwas weiter weg, drückte den Rücken fest an die Reling. Schützend umklammerte sie den Strauß mit roten Margeriten und Immergrün. Er hatte altmodische Blumen gemocht, wie merkwürdig, hatte sie häufig zu sich gesagt, wo er doch sonst so gegen früher war. Vielleicht gab es einmal einen üppigen Bauerngarten in seiner Kinderzeit, sie hatten nie über so etwas gesprochen.

Alle kämpften sie gegen die Schwerkraft, wenn das Schiff in den kürzer werdenden Seen leicht zu rollen begann. Ihr Magen meldete sich, er liegt irgendwie falsch von Geburt an, dachte sie, aber heute müssen wir damit noch einmal durch. Sie hatte gemeint, es ihrem Mann schuldig zu sein, diesen engen aber romantisch aussehenden Yachtkutter für die Zeremonie zu chartern. Den moderneren Schiffen fehlte das Segel und für die bescheidene Trauergesellschaft war genug Platz. Man drehte bei und es fand sich ein ruhige Stelle im vorgeschriebenen Seekartenquadrat.

Nun brachte der Mann mit dem sommersprossigen Gesicht die bekränzte Urne aus dem Deckshaus, wo sie die ganze Zeit aufgebahrt gestanden hatte, er sah gut aus, fand sie, noch besser als vor vierzehn Tagen in seinem Büro. Thorben hatte auch gut ausgesehen, aufreizend gut zu seiner Zeit, am Schluß nicht mehr, ganz und gar nicht. Der Bestattungsgehilfe trug eine Art von Dienstanzug, er sah darin sehr geistlich aus, und so reden konnte er auch. Das hatte sie gleich gemerkt, als sie die Formulare ausfüllte, um eine "schlichte Anteilnahme" zu buchen. Nicht viel älter als Thorben, sinnierte sie, als alles zum Achterschiff hinsah, wo die Urne gleich verschwinden sollte. "Sie wird den Wellen anvertraut", wie er sich bei der Erklärung der Abläufe ausdrückt hatte. Das war eine Sprache, die ihr gut tat.

Aber im Moment führte der Kapitän das Wort. Sie wußte, das ist seine Arbeit hier, der "Käptn" als der liebe Gott, das war das Wesentliche, was sie noch aus "Moby Dick" behalten hatte. Thorben wollte das Buch auch mal lesen, er meinte, das stehe ihm als "Seefahrer" gut an, hatte sich dann aber den Inhalt im Internet geben lassen; nein, ein Walfänger wäre nie aus ihm geworden. Nur um seinetwillen ging sie gleich am Anfang mit aufs Segelboot. Sie paukte Griffe und Kommandos, auch um seinetwillen. Liebe machten sie nie auf dem Boot, Thorben hatte immer etwas zu tun, wenn sie auf dem Wasser waren, und insgeheim glaubte sie, daß er das Spiel der Leiber für eine Besudelung seines Bootes hielte, die er anderntags mit Schrubberorgien hätte aus der Welt schaffen müssen.

Zurück zum Kapitän. Der hatte nicht viel zu sagen, aber das mit Pathos. Siehe da, er kannte auch den Satz mit den Wellen und noch einen vom Ruf des ewigen Meeres und dem Leben als Fahrenszeit. Die Urne wurde nun mit einer Schnur an einem schwenkbaren Ausleger eingehakt und damit über das Heck gedreht. Der Kapitän und zwei von der Besatzung machten ganz auf Seemannsgrab, mit Strammstehen und Mütze ab, als die vorgeschriebene Öko-Urne mit der Asche ziemlich rasch unterging. In die Wellen warf sie ihm nun auch die Blumen nach, der vom Bestattungshaus rührte sich dicht bei ihr. Sie starrten wie ein geprüftes Paar auf die graue See, bis es nicht mehr ging. Keine Umarmung zum Trost, sie hätte das nicht abgelehnt. Er gab ihr schweigend die Hand.

Dann kam ihre allerbeste Freundin, die nahm sie in die Arme, und schließlich verlegen die Verwandten ihres Mannes, die Schwestern, die Mutter, eine Großtante, drei Kusinen, kaum Männern, die hielten sich in der Familie sehr zurück. Das war auch nicht anders gewesen in den letzten Monaten der Krankheit.

Die Uniformträger kondolierten jetzt zum zweitenmal. Der Sommersprossige berührte sie leise am Oberarm und bat in die Kajüte, es sei für das Logbuch. Für jedes Buch wäre sie mit ihm gegangen, das Gefühl fand sie für sich in Ordnung, mit der Urne brauchte sie nichts mehr zu tun haben wollen, im Prospekt hatten sie beschrieben, wie Aurelien, Seesterne und Muscheln bald am Seegrab wachen würden.

Erinnerungsfahrten, die man bei der Reederei später kaufen könnte, machten ihr jetzt schon Übelkeit. Zum Glück spürte sie, wie ihre Freundin sich bei ihr einhakte. Der Motor tuckerte stärker für die Ehrenrunde, von der Schiffsglocke kamen vier Doppelschläge, auf den Wellen tänzelten zwischen den anderen Trauerblumenköpfchen einzelne rotgelbe Margeritensonnen. Immergrün sah man nicht.



© hertz