Der Plomp

 

Der Plomp

Ein Mensch wie einer aus einer Zeit, die es nicht mehr gibt. Er kommt aus dem Osten und geht wieder in den Osten. Dazwischen ist er im Westen. Er wohnt illegal. Er arbeitet illegal. Er hat eine illegale Liebe. Sein kostbarster Besitz sind Hardrock-CDs und das Buch einer ukrainischen Dichterin. Er wohnt eine ganze Weile draußen, weit vor dem Dorf in einer alten Garage. Als ein Neubaugebiet näher rückt, stört der Plomp, er wird nicht mehr geduldet. Menschen, die selbst Fremde sind, ermöglichen ihm die Flucht  – nach Hause.


Die Garage

Da bebt das Schwingtor: Der Plomp hört abends Hardrock, dass der Wald dröhnt. Der Wald besteht aus einem halben Hektar Stieleichen mit Springkraut und Dorngebüsch, in dessen Mitte wohnt der Plomp. Früher mag hier ein Aussiedlerhof gestanden haben, übrig blieb nur die Garage, in die er eines Tages eingezogen war. Weil das Dorf zum Plomp hingewachsen sei, störe jetzt solche Musik, beschwerten sich die Nachbarn beim Bürgermeister. Der Plomp ist tagsüber nicht da. Er arbeite schwarz bei der slowakischen Putzkolonne, wird gesagt, es habe ihn der Paketbote gesehen, in einem grauen Overall, Baskenmütze bis über beide Ohren. "Im eisigen Wind standen sie oben auf dem Gerüst, konnten einem schon leidtun." Das mit dem "Leidtun" hatte er nach lautstarkem Meinungsaustausch zurückgenommen.

Einmal kam der Plomp aufs Dorffest, die Haare zu einem Zopf geflochten. Seine Brille war ein altes Kassenmodell, er hatte eine blaue Anzughose an und trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck eines Gitarre spielenden Wuschelkopfs. Im allgemeinen Gewühl ist es eine Frau aus dem Neubauviertel, die mit ihm tanzt; mit einer altertümlichen Verbeugung fordert er sie auf, ein feiner Duft von Maiglöckchen umschwebt sie. Ihr Mann hängt schon an der Bar, mitten zwischen den Handballerinnen. Das Zelt schwankt im Rhythmus der Boxen, sie reden nicht viel. Sein warmer östlicher Tonfall berührt sie. Nach dem zweiten Titel reicht er ihr den Arm und bringt sie an den Platz auf der Klappbank zurück, dankt und geht. Wie er sich durch die Tanzenden schlängelt, wird sie gewahr, dass er barfuß ist. Es wird getuschelt. Ihren Mann an der Bar stimmt der Alkohol milde, "Booah, soll sie doch!"

Als im anderen Jahr die Frau vom Dorffest beim Plomp Zuflucht sucht, ist es schon spät. Sie macht sich zaghaft bemerkbar, der Plomp scheint nicht überrascht zu sein. Er zündet eine Kerze an. In die Garage gelangt man nur durch das Fenster, das Zugseil für das Tor ist abgerostet. Als sie drinnen steht, sieht er eine frische tiefrote Schramme auf ihrem Unterarm. Der Mann türmt drei kleine Matratzen aufeinander und bittet sie Platz zu nehmen –formvollendet wie damals bei ihrem ersten Zusammentreffen. Die Frau sitzt stumm, guckt an sich herunter, ein Riemchen an der linken Sandale ist gerissen, drei Zehennägel lädiert, nicht bloß der Lack abgesprungen. Ja, bitte etwas zu trinken, deutet er ihren Augenaufschlag. Der Plomp holt eine Wasserflasche und einen Becher. Er wendet ihr den Rücken zu, lehnt  sich aus dem Fenster, guckt hinüber zu den Häusern im Neubaugebiet, da ist ein Lichtschimmer.

Plötzlich fängt der Plomp an zu summen, zuerst in den Wald hinein und dann zieht er seinen Kopf nach drinnen und summt weiter. Wie man es an den Wiegen macht, so macht es der Plomp. Unterbricht sich, murmelt beschwörend ein Mantra, ein Gebet. Schließlich steht die Frau auf, tastet sich zum Fenster, schaut prüfend hinaus in die Nacht. Sie und der Plomp stehen dicht an dicht, er hebt sie mit beiden Armen hoch wie ein müdes Kind, dreht den Körper durchs Fenster und unter seinen Händen gleitet sie sanft auf den Waldboden. Sie stolpert davon, das Knacken der Zweige entfernt sich.

Der Plomp schließt das Fenster. Ordnet die Matratzen wieder zur Liegefläche, bläst das Licht aus, döst vor sich hin. Nicht lange. Das Getrippel fliehender Kleintiere macht ihn unruhig, Vögel flattern aufgeschreckt in der Baumkronen. Es trampelt im Wald. Der Plomp springt auf, stürzt in die Ecke, wo seine Anlage steht. Stellt sie an, schiebt eine CD hinein und dreht die Lautstärke auf Maximum, die Bässe voll ausgefahren. Draußen auf das Schwingtor donnern Schläge.

© hertz

Mehr über den Plomp im Erzählungsband "Männer auf Achse"